Residenz an der Panke
Den Unterschied zwischen „Pankow" und „Pankoff“ macht Konrad Adenauer. Als am 7. Oktober 1949 die Deutsche Demokratische Republik ausgerufen wurde, durfte sich deren erster Arbeiter-und-Bauern-Präsident Wilhelm Pieck das barocke Schloss Niederschönhausen im Berliner Stadtbezirk Pankow als Amtssitz einrichten und am feudalen preußischen Luxus von Schloss und Park erfreuen. In den durch Gitter und Postenketten total abgeschirmten Villen des angrenzenden Majakowskirings wohnte (und wohnt zum Teil noch immer) die einstige Prominenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Seither sprach Helmut Kohls „Großvater" Konrad stets von den „Machthabern in Pankoff".
Foto: Schloss Niederschönhausen um 1787
Die Gästeliste des Schlosses Niederschönhausen ist prominent: hierhin wurde die ungeliebte Gemahlin des Großen Friedrich, Elisabeth Christine von Braunschweig, „verbannt", hier residierte in den Sommermonaten des 19. Jahrhunderts Fürstin von Liegnitz, Frau des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III., Goethe war zur Besichtigung da, später machten hier Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht Politik.
Nach dem Aufstand der Bauarbeiter des 17. Juni 1953 verließ die Führungscrew des kommunistischen Regimes ihr unsicheres, city- und westsektorennahes Domizil in Richtung Mark Brandenburg nach Wandlitz. Mit der Fertigstellung des Staatsratsgebäudes am Marx-Engels-Platz im Jahre 1964, in dessen moderner Fassade das historische Portal IV des abgebrochenen Berliner Stadtschlosses eingeführt wurde (vom Balkon hatte Karl Liebknecht 1918 die „Freie Sozialistische Republik Deutschland" ausgerufen), diente Schloss Niederschönhausen der DDR-Regierung nur noch als Herberge für hohe Gäste aus Ost und West.
Der letzte Gast von Erich Honecker hat die goldtapezierten Suiten mit Kristalllüstern und weißem Rokokomobiliar am 8. Oktober 1989, einen Tag nach den perfekt inszenierten Jubelfeiern zum 40. Geburtstag der DDR, verlassen. Nach dem inzwischen historischen Adenauer-Wort „Pankoff" der fünfziger Jahre ist Michail Gorbatschow höchstwahrscheinlich dort der inzwischen nicht minder historische Satz der neunziger Jahre eingefallen: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."
Pankow ist der nördlichste Stadtbezirk von Berlin. Er umfasst die Ortsteile Pankow, Niederschönhausen, Rosenthal, Blankenfelde, Buchholz, Buch und Wilhelmsruh. Durch Pankow und seinen Schlosspark Niederschönhausen fließt trübe die Panke, neben Havel und Spree der dritte „besungene" Berliner Fluss. Wenn man im ehemaligen Westteil der Stadt in Zehlendorf wohnen „musste", dann gehörte man im Ostteil schon zu den Begnadeten, wenn man in Pankow wohnen „durfte". So liest man denn auch heute in den Immobilienspalten üppige Mietforderungen für repräsentative Wohnungen.
Der heutige Villenvorort am Rande des Berliner Zentrums wurde schon im 18. Jahrhundert vom Bürgertum als Wohngegend entdeckt. Erwähnt wird die Siedlung als Angerdorf und Rittersitz schon 1350. Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm legt 1675 den Grundstein zum brandenburgisch-preußischen Staat und zum Ausbau Berlins als Hauptstadt. Sein Sohn, Kurfürst Friedrich III., krönt sich 1701 in Königsberg zum König Friedrich I. von Preußen und erwirbt wenig später das großflächige Grundstück Niederschönhausen.
Der Hofarchitekt Johann Friedrich Eosander, von dem unter anderem der gewaltige Erweiterungsplan für das Berliner Stadtschloss stammte, errichtete 1708 durch den Umbau eines Gutshauses aus dem 17. Jahrhundert das zweieinhalbgeschossige Schloss Schönhausen. Er ließ den streng axial angelegten Park vergrößern und ausbauen, der dann später in den Jahren 1829 bis 1831 von Peter Joseph Lenne zu einer englischen Parklandschaft umgewandelt wurde.
Eine Radierung aus der „Sammlung aller schoenen und merkwuerdigen Gegenden in saemtlichen Koeniglichen Preußischen Staaten - Topographie Pittoresque des Etats Prussiens" von Carl Benjamin Schwarz aus dem Jahre 1781 zeigt das helle Schloss und Teile des als Rokoko-Lustgarten angelegten Parks im französischen Stil.
Park und Schloss Niederschönhausen werden durch die weitläufigen Umgehungen von Grabbeallee, Schönholzer und Blankenburger ein- und auswärts fließenden Verkehr verschont: eine Oase mitten in der Großstadt, ein Ort der Besinnung, auch der Beratung, bis in die letzten Tage der sozialistischen Republik hinein: hier tagte der Runde Tisch über das zu „Bewahrende und Nichtzubewahrende", hier wurden mit den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen die Weichen für Deutschlands Einheit gestellt.
Im Vergleich zu den großen preußischen Prunk- und Glanzbauten des Charlottenburger Schlosses und Schloss Sanssouci in Potsdam ist diese Residenz bescheiden. Ob Schloss Niederschönhausen in Zukunft nun als Gästehaus des Landes Berlin oder als Repräsentationsbau für den Regierungssitz Berlin verschlossen bleibt, wird den Besucher wenig interessieren. Nach über 40 Jahren kann er seit kurzem wenigstens eines: an das und um das Schloss herumgehen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Mai 1991